Eine richtig gute Pizza soll er gebacken haben, so sein erster Arbeitgeber.
Die Musik, die Tom Waits dabei hört, prägt ihn fürs Leben.
Jetzt wird der Mann mit der Reibeisen-Stimme auch auf dem Papier so alt, wie er sich im Herzen schon immer fühlte.
Eisverkäufer, Schuhverkäufer, Pizzabäcker. Als die Stars noch keine Stars waren, hatten sie Jobs wie jeder andere auch.
Henry Rollins brachte es bei Häägen-Dasz bis zum Assistant Manager. George Clooney kümmerte sich in einem Kaufhaus in Cincinnati um Fußbekleidung für Damen. Und Tom Waits stand im Restaurant Napoleone’s am Pizzaofen. Ob er damals, wie es heißt, wirklich die beste Pizza von San Diego gebacken hat oder es einfach zu schön in seine Geschichte passt … who knows. And who cares.
Fest steht, dass es in dem Laden eine gutbestückte Jukebox gab und die Musik – oder besser die Stimmen, die aus ihr drangen – den jungen Tom Waits direkt ins Herz treffen. Eine davon gehört Ray Charles. Das hätte ihn verzaubert, so erzählt er später. Songs wie “Crying Time” oder “I Can’t Stop Loving” werden so früh zum Soundtrack seines Lebens, neben Charles haben es ihm Bob Dylan, Sinatra und Cole Porter ganz besonders angetan.
Nicht nur die Lieder sind es, die ihn inspirieren, es sind auch die Geschichte der Leute, die ihm zu Ohren kommen, erst in der Pizzeria, anschließend auch bei seinen Jobs als Barkeeper, Türsteher oder Fahrer eines Lieferwagens. Die Nachtmenschen und die Herumtreiber, die Tänzerinnen und die Penner, die Matrosen und die Prostituierten, vereint bei ein paar Zigaretten, einem “Nightcap”, wie es heißt, so passend in seiner Doppeldeutigkeit, steht es doch ebenso für “Nachtmütze” wie für “Schlaftrunk”.
“Seine Songs bliesen mich weg”
Viele von ihnen werden später durch seine Lieder geistern. Onkel Vernon aus der “Cemetery Polka”, “Buzz Fledderjohn” vom Nachbarhaus, die alle überragte. William, the Pleaser, der “Opium, Knallkörper und Blei” verkauft und im Song “Lucinda” zu Ehren kommt. Oder die namenlosen Brooklyn Girls, die im “Downtown Train” sitzen und von einer besseren Welt träumen. So wie Ruby und Martha, Rosie und Cinny, Muriel und Mister Siegal …
In Whittier, im Los Angeles County, wächst Thomas Alan Waits, geboren am 7. Dezember 1949, als Sohn eines Lehrer-Ehepaares auf. Der Vater trinkt, es kommt zur Scheidung, Waits zieht mit der Mutter und seinen beiden Schwestern nach Chula Vista. Nach der High School verdingt er sich in Jobs, bald zieht es ihn Richtung Bühne. Die Helden der Beat Generation, Kerouac, Ginsberg & Co., faszinieren ihn, bald entwickelt er eine große Leidenschaft für Charles Bukowski. Bei seinen ersten Auftritten, Anfang der 70er in San Diego, covert er Dylan, die Gage zunächst noch spärlicher als sein Türsteher-Lohn.
Doch sein Talent macht schnell die Runde, er tritt im Vorprogramm von Tim Buckley auf, beim Label Asylum Records landet er seinen ersten Plattenvertrag. “Er hatte eine ganz eigene Stimme, seinen eigenen Stil, seine eigene Präsentation und augenscheinlich ein ganz eigenes Desinteresse an all diesen Dingen”, so Asylum-Boss David Geffen. “Aber seine Songs bliesen mich weg. Ich liebte die Art, wie er sang.”
Kippen und Whiskey
Die Art, wie er singt … damit würde er Geschichte schreiben, denn buchstäblich niemand klingt wie Tom Waits. Dieses raue Raspeln, als würde er mit Schnaps und Scherben gurgeln, mit Whisky und Altöl nachspülen, anschließend mit Selbstgedrehten und Pökelfleisch ablöschen. Seine Stimme passt perfekt zu seinen Liedern, den Geschichten, in denen sich die cineastischen Gestalten tummeln, die Verlierer, die Größenwahnsinnigen, die Hoffnungsvollen und die Giganten.
Bis er seinen Ton findet, dauert es einige Zeit, einige Alben. Und einige Abstürze. Mal schütteln ihn Depressionen und Durst, dann wieder ignoriert ihn das Publikum. Als der Alkohol ihn Mitte der 70er fast vollends zerstört, kommt er gerade eben noch davon. “Bad Liver And A Broken Heart” handelt davon: Ich hab’ kein Alkoholproblem, singt er darin, außer wenn ich nicht trinke.
Waits bekommt irgendwie die Kurve, bringt seine Kunst jetzt in die Balance. Zehn Jahre sind seit seinem Debüt “Closing Time” vergangen, als er 1983 mit dem Album “Swordfishtrombones” endlich seinen umfassenden Durchbruch feiert. Etliche Klassiker sollten folgen. “Raindogs” (1985) etwa, mit dem legendären Albumcover. Viele halten den schmusenden Typen für Waits selbst, tatsächlich ist es ein Gast der Hamburger Kiez-Kaschemme “Lehmitz”, vom schwedischen Fotografen Anders Petersen ikonisch festgehalten. “Imperiale Phase”, so nennt man jene Schaffensperiode, in der einem Künstler scheinbar alles gelingt. Waits hat solch einen Lauf, bringt Klassiker wie “Frank’s Wild Years” (1987) heraus und das wahnwitzige “Bone Machine” (1992).
Er hat sich rar gemacht
Seinen Typus, seine “Kunstfigur”, wenn man es denn so schnöde benennen wollte, hat er längst zur Perfektion gebracht. Die Mütze auf dem Kopf, die Kippe im Mundwinkel, die Reibeisen-Stimme und das betrunkene Piano, das Licht der Straßenlaterne, wie es sich im halbvollen Whiskeyglas spiegelt. Dem Schnaps schwört Waits irgendwann ab, seinen Wirkungskreis hat er da längst erweitert. In Hamburg bringt er den “Black Rider” (1993) auf die Theaterbühne, in Filmen wie “Down By Law” (1986), “Short Cuts” (1993) oder zuletzt “The Dead Don’t Die” (2019) und”Licorice Pizza” (2021) zeigt er, wie perfekt er auch auf die Leinwand passt.
In den vergangenen Jahren hat Waits sich rar gemacht. Von 2011 datiert sein letztes Album “Bad As Me”, entstanden in Zusammenarbeit mit Kathleen Brennan. Seit 1980 sind die beiden bereits verheiratet, hatten auch in der Vergangenheit bereits kollaboriert. Zum ersten Mal fungiert Brennan hier zudem als Produzentin. 2013 folgt ein opulentes Fotobuch, das Waits gemeinsam mit der Fotografen-Legende Anton Corbijn veröffentlicht. Und seitdem? Ruhe über allen Wipfeln und Whiskeygläsern.
“Ich wollte schon als Kind ein Oldtimer sein”, so sagte es Waits einmal. “Die Alten haben die besten Geschichten, die lässigen Klamotten und die großen Hüte. Zu ihnen zog es mich hin”. Wäre es nicht schön, wenn es ihn, den ewigen Oldtimer, auch noch mal ins Rampenlicht ziehen würde? Geschichten gäbe es bestimmt genug, aber erst einmal wird gefeiert.
Happy Birthday, Tom Waits, alles Gute zum 75.!