Herr Weiss, wie sind Sie zur Musik gekommen?
Andi Weiss: Wir sind eine musikalische Familie. Meine älteren Geschwister haben alle Instrumente gespielt und ich begann im Alter von sechs Jahren mit dem Klavierunterricht.
Vom Blatt spielen war für mich aber immer eine lästige Übung und meine Lehrerin konnte sich für meine Leistungen nur begrenzt begeistern.
Einmal knallte sie mir leidenschaftlich eine Mark aufs Klavier, weil ich ausnahmsweise einmal das Hausaufgabenstück spielen konnte.
Musik habe ich aber noch nie als Leistung empfunden, eher als gute Freundin, als Geschenk. Wenn es zuhause Streit mit den Geschwistern gab, habe ich mich ans Klavier verkrochen, habe eigene Melodien und Harmonien gesucht um den großen Emotionen meines Lebens einen Ausdruck zu verleihen. Das war für mich ein schöner geheimer Ort. So wurde die Musik bis zum heutigen Tag für mich eher eine Art Selbsttherapie die mir half, dort mit Tönen zu erzählen wofür mir Worte fehlten.
Wie verbanden Sie Musik und Beruf?
Andi Weiss: Als junger Rummelsberger Diakon traf ich damals als Dienstanfänger in der Gemeinde schnell auf die großen und schwierigen Lebensthemen der Menschen. Da saß ich am Sterbebett einer krebskranken Frau oder stand am Grab mit Eltern die ihr Kind verloren hatten. Das waren alles Erlebnisse, die ich erst einmal für mich selbst als Privatmensch aber auch als “Berufschrist” verarbeiten musste. Diese Begegnungen stellten meine eigenen Lebens- und Glaubensentwürfe massiv in Frage. Wieder setzte ich mich ans Klavier. Nicht um schlaue Antworten auf diese großen Fragen zu formulieren, sondern manchmal einfach nur um diesen Schmerz auszusprechen und den eigenen Fragezeichen mit Tönen ein Gehör zu verschaffen. Gleichzeitig begegnete mir ein wertvoller Text von Dietrich Bonhoeffer indem er aufzeigt, dass der Gott der Bibel ein Gott ist, der freiwillig “ohnmächtig und schwach” in der Welt wird um so nah bei den Menschen zu sein. Das hat mir einen neuen Blick auf das Leben, auf die Menschen und auf Gott gegeben. Mir wurde das heilsame Bild eine “mitleidenden Gottes in dieser Welt” wichtig. Da klingt ganz stark der 23. Psalm mit: “Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal fürchte ich mich nicht. Denn Du bist bei mir!” Ein Zuspruch den ich mir anfing selbst zuzusingen. Diesen Grundtenor findet man bis heute in vielen Momenten meiner Lieder wieder. Damals dauerte es nicht lange, da meldeten mir Menschen zurück, dass ich mit meinen Liedern zum Sprachrohr ihres Schmerzes geworden wäre. Seitdem gebe ich nicht Konzerte, um einfach ein paar schöne Songs zu spielen, sondern um die existenziellen Momente, die mich bewegen, mit anderen zu teilen.
Warum passen diese beiden Welten für Sie so gut zusammen?
Andi Weiss: Ich habe mich damals lange nicht getraut, ganz aus der Gemeinde rauszugehen obwohl ich schon viele Konzertanfragen hatte. Ich wollte nicht eines Tages nur noch am Schreibtisch sitzen, um mir von dort aus zu überlegen, was Menschen bewegt. In der Gemeindearbeit habe ich in der Begegnung mit den Schicksalen der Menschen schnell gemerkt, dass ich neben dem klassischen seelsorgerlichen Handwerkszeug noch ein Update brauche um Menschen in ihren Nöten qualitativ zu begleiten. Deshalb habe ich noch eine Ausbildung zum Logotherapeuten gemacht. Die Logotherapie, eine sinnzentrierte Psychotherapie nach Viktor Frankl, hilft Menschen Krisen sinnvoll zu gestalten. Ich will mir bewusst die Fragen und Schwierigkeiten der Menschen antun, und nie enden wie ein Dieter Bohlen als reiner Hitschreiber. Da bin ich eher bei Konstantin Wecker und seinem Credo “Ich singe, weil ich ein Lied hab”. Als ich vor vielen Jahren meine Praxis in München aufgemacht habe, dachte ich, es kommen als Klientinnen und Klienten in erster Linie die Leute aus dem Umland. Bei einem Konzert hat mich dann ein Mann aus Hamburg angesprochen, der gerne zu mir in die Praxis gekommen wäre, dem die Anfahrt aber zu weit war. Er fragte, ob ich auch telefonische Beratung anbiete. Hatte ich bisher noch nicht, aber dann einfach mal ausprobiert. Inzwischen kommen meine Klientinnen und Klienten aus dem ganzen deutschsprachigen Raum und ich berate zu über 90% am Telefon. Ein Großteil meiner Arbeitsbereiche sind entstanden, weil ich mutig zu Anfragen ein mutiges “Ja, gerne!” gegeben habe. Neulich zählte ein Moderator in einem Interview meine verschiedenen Tätigkeiten auf fragte dann was ich denn nun genau von Beruf bin? Ich habe geantwortet: Ich glaube ich bin von Beruf “Andi Weiss”. Denn egal was ich mache, ob ich singe, berate, Bücher schreibe, Alben produziere oder Vorträge halte. Ich möchte immer Menschen ermutigen. Und so ergibt das eine immer das andere. Für mich ist das ein perfektes Gesamtkonzept.
Was sagen Sie jemandem, der Sie als “christlichen Liedermacher” bezeichnet?
Andi Weiss: Da zitiere ich gerne meinen lieben Kollegen Wolfgang Buck, der mal sagte, es gibt keine christliche oder unchristliche Musik, sondern nur gute oder schlechte. Neulich war ich mal einen ganzen Tag lang zu Gast in einem Mädchengymnasium. Die Schülerinnen befragten mich zu allen möglichen Themen. Eine Frage lautete: “Warum sind Sie christlicher Liedermacher geworden?”. Da musste ich erst einmal überlegen, ob diese Bezeichnung wirklich so auf mich zutrifft. Ich habe das für mich dann erstmal in Frage gestellt. Ich bin Christ und ich bin Liedermacher. Die Frage ist ja immer, was man sich unter einen christlichen Liedermacher vorstellt. Ist man das, wenn in den Texten oft genug die Worte “Gott” oder “Jesus” vorkommen? Ich habe mittlerweile acht Platten gemacht, und nur auf einer kommt in einem Lied das Wort “Gott” vor. Ich glaube aber, dass Gott aus jeder einzelnen meiner Liedzeilen rausplatzt. Ich mag die jüdische Ehrfurcht vor dem Namen Gottes. Da wird aus Ehrfurcht zu Gott dessen Namen nicht einfach so ausgesprochen. Was ist denn alleine in unserem Land schon alles missbräuchlich im Namen Gottes gesagt oder getan worden? Ich möchte mir die Schönheit und Zärtlichkeit bewahren, wenn ich über Gott singe. Bei den Geschichten die ich bei den Konzerten erzähle ist das wieder anders. Da erzähle ich selbstverständlich auch von meinem Glauben. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich mein Herz aber von einem missionarischen zu einem seelsorgerlichen Herzen weiterentwickelt. Wichtig ist mir immer, dass Menschen sich in meinen Konzerten von mir absichtslos ernstgenommen fühlen und wissen: Ich darf sein, mit allem was zu mir und meinem Leben dazugehört.
Das Label “christlich” als Künstler zu besitzen – Fluch oder Segen?
Andi Weiss: Ich wurde vor vielen Jahren einmal innerhalb einer Woche von zwei Veranstaltern die mich schon für ein Konzert gebucht hatten wieder ausgeladen. Der eine Veranstalter schrieb, er habe mich zwar gebucht, aber danach noch ein Konzert von mir besucht und festgestellt, dass ihm meine Texte viel zu christlich sind. Der andere bemängelte, meine Lieder hätten mit dem Glauben ja so rein gar nichts zu tun. Ich habe mir dann gedacht: “Danke – ich bin also genau in der Mitte bei den Menschen, bei denen ich gerne sein möchte.” Ich mag und brauche keine Extreme um Menschen zu erreichen. Ich gehe lieber in die Extreme der Menschen um sie ernst zu nehmen. Ich spiele ja an vielen verschiedenen Orten in denen Christen ihren Glauben ganz unterschiedlich leben. Evangelisch, katholisch, Freikirchlich. Halt überall dort wo man mich einlädt. Das “Label” interessiert mich dabei aber nicht. Ich komme als Mensch zu Menschen. Das ist mir wichtig.
Wie wichtig ist Ihnen selbst die christliche Prägung für Ihre Arbeit?
Andi Weiss: Ich bin in einem sehr frommen Elternhaus aufgewachsen und bin dann sechs Jahre lang in Rummelsberg durch eine weitere theologisch-pädagogische Waschmaschine gegangen. Vielleicht ist mir auch deswegen besonders wichtig darüber nachzudenken, was ich theologisch an die Menschen, die mir zuhören, weitergebe. Manche Sätze hören sich vielleicht sehr gut, sehr schön, vielleicht auch sehr fromm an. Aber oft stimmt dann der Rückschluss nicht und nehmen Menschen die gerade in einer Krise sind nicht wirklich ernst. Ich liebe schon seit Kindesbeinen an das Bild von dem kleinen Kind, das sich in die große Hand Gottes kuschelt. Dieses Urvertrauen ist in mir nie zerbrochen. Das möchte ich anderen Menschen weitergeben. Das Wissen, dass das Leben, das mir begegnet keine Strafe ist, sondern eine Aufgabe. Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie, spricht von “Sinn-Anrufen” und hat es schon so formuliert: Nicht wir fragen Gott nach dem Sinn des Lebens, sondern wir Menschen sind gefragt, mit unserem Leben darauf Antworten zu geben. Gott fragt, “Mensch, wo bist Du, was machst Du mit Deinem Leben, aber auch mit Deinen Scherben und Brüchen”. Das im eigenen Leben – aber auch im Leben anderer Menschen – immer wieder neu zu entdecken ist für mich ein großes Geschenk.
Wie komponieren Sie?
Andi Weiss: Ich habe mich noch nie mit der Absicht ans Klavier gesetzt jetzt ein neues Lied zu schreiben. Oft entspringen Liedideen aus den direkten Begegnungsmomenten mit den Menschen und dem Leben. Da fällt in einem Beratungsgespräch der ein oder andere Satz, da bleibt eine Geschichte hängen aus der dann im Moment eine kleine Liedzeile, ein Refrain oder auch nur ein paar Wortfetzen werden. Dann sing ich diese erste Idee gleich nach dem Gespräch auf mein Handy. Und dann lässt mich dieses Lied nicht mehr los bis es dann auch recht bald auf Papier landet. Manchmal schreibe ich über Monate kein einziges Lied. Und das ist gut so. Lieder kann man nicht machen. Sie liegen als Geschenk am Wegesrand und wollen aufgehoben und ausgepackt werden.
Musikalisch hat mich wohl am meisten die “Mensch”-Platte von Herbert Grönemeyer inspiriert. Die Art und Weise, wie er in diesem Werk seinen eigenen Zerbruch in den Liedern aufarbeitet, hat mich damals parallel zu den Grenzerfahrungen der Menschen die ich in der Gemeinde begleitet habe tief berührt. Zuerst schreibe ich meine Lieder natürlich als reine Klavierversion. Denn primär müssen meine Lieder für mich live – nur am Klavier – funktionieren. Meine CDs produziere ich alle selbst und da habe ich dann zur Hälfte Songs, deren Arrangements ich komplett selbst austüftle und dann von einem Geiger oder einem Cellisten bespielen lasse. Bei den Bandtiteln ist das anders. Da nehme ich die Klavierversion ganz jungfräulich mit ins Studio und entwickle dann mit der Studioband das Arrangement. Das ist dann auch für mich immer wieder ein besonderer kreativer Prozess – aber auch eine Herausforderung. Da braucht es sehr gute einfühlsame Musiker die verstehen, was ich gerade mit dem Song erzählen möchte. Deshalb arbeite ich seit vielen Jahren immer wieder mit den gleichen Musikerinnen und Musikern zusammen.
Viele Besucherinnen und Besucher Ihrer Konzerte erleben diese teils schmerzhaft intensiv.
Andi Weiss: Ich bin mir dessen durchaus bewusst, und auch der Verantwortung die sich daraus ergibt. Gerade, was die Konzerte angeht. Mir erzählen viele Menschen, was meine Lieder in ihnen emotional auslösen. Schon so viele Menschen haben mir nach Konzerten erzählt, dass sie zum Beispiel schwere und dunkle Zeiten ihrer Depression nur mit meinen Liedern überstanden haben, weil sie ihnen die Kraft gaben trotzdem am Leben zu bleiben. Dazu braucht man aber den Mut auch Menschen ihn ihrer Wirklichkeit zu begegnen, sie ernst zu nehmen mit allem was sie bewegt und sie so zu entschämen. Einmal hat mir jemand geschrieben, wie sehr ihn meine Lieder berühren und er deshalb niemals eines meiner Konzerte besuchen wird. Er beschrieb wir er weinend zuhause mit meinen Liedern abtrauere und so den Verlust der Partnerin aufarbeiten könne. Eine Frau sagte mir mal nach einem Konzert, dass meine Lieder sie tief berühren, weil ich nicht über Emotionen singe, sondern mit den Liedern in diese Emotionen eintauche. Vielleicht ist es das der Grund warum vielen Menschen meine Lieder sehr nahe gehen? Sicher manchmal auch zu nahe! Es haben schon oft Konzertveranstalter im Anschluss an meinen Auftritt gesagt, sie wüssten nicht, ob das jetzt ein Gottesdienst, Verkündigung oder eine kostenlose Therapiestunde gewesen war. Das gefällt mir, wenn die Gäste durch meine Lieder auch eine tiefe emotionale Begegnung mit sich selbst haben. Das ist ja der tiefe Moment jeder Jesus-Begegnung die uns in den Evangelien begegnen. Ich kann da meine therapeutische Arbeit und Art zu komponieren und aufzutreten nicht voneinander trennen. Ich habe allein in den vergangenen zehn Jahren über 7000 Beratungsgespräche geführt. Was ich an Geschichten höre, was alles hinter der Haustüre bei den Menschen stattfindet, das ist oft so geballt, dass ich es nicht schaffen würde, nur mit lustigen Liedern auf die Bühne zu gehen. Natürlich wird bei meinen Konzerten auch gelacht. Aber ich könnte mir aktuell nicht vorstellen, ein ausschließlich lustiges Programm auf die Bühne zu bringen. Ich beneide manchmal Kabarettisten die einfach auf die Bühne gehen und einfach einen ganz leichten, lustigen Abend gestalten. Ich glaube aber ich habe einfach einen anderen Auftrag in dieser Welt.