Für ihn geht es um „alles oder nichts“.
Das sagt nicht nur Stefan Raab, das sagte auch die Programmdirektorin der ARD, Christine Strobl: Wenn Deutschland in diesem Jahr den Eurovision Song Contest (ESC) nicht gewinnt, dann ist die Kooperation mit Raab (und erstmals auch mit RTL) schon wieder beendet.
Das machte Strobl klar, bevor bekannt wurde, dass nach fast 30 Jahren der NDR die Verantwortung für den ESC im nächsten Jahr an den SWR abgeben wird.
Der deutsche Vorentscheid war also Chefsache, und Chef war nur einer: Stefan Raab. Er war Dreh- und Angelpunkt in allen Sendungen, die dem Finale am Samstagabend vorausgingen.
Und das Finale hatte es in sich, denn Raab, man kann ihn mögen oder nicht, hob das Niveau vergangener Jahre, als nur der NDR verantwortlich zeichnete, in für Deutschland ungewohnte Höhen. Auf der Bühne in Hürth bei Köln ließen die neun Finalisten sogar erstmals Inszenierungen erkennen, die fast schon ESC-reif waren. Denn es geht beim ESC um mehr als nur um Gesang, es geht um ein überzeugendes Gesamtpaket, wie Conchita Wurst, selbst Gewinnerin des Song Contest, als Gastjurorin gleich zu Beginn der Sendung hervorhob.
Das Ergebnis am Ende von insgesamt vier Sendungen „Chefsache ESC 2025 – Wer singt für Deutschland?“ war nur insofern eine Überraschung, weil Deutschland nun keinen deutschen Kandidaten hat, aber dafür einen, der auf Deutsch singt. Das hatte es zuletzt 2007 gegeben, als Roger Cicero „Frauen regier’n die Welt“ beim ESC in Helsinki gesungen hatte. Danach waren alle Lieder für Deutschland auf Englisch gewesen. Nach Basel im Mai wiederum fahren zwei Österreicher für Deutschland, das Duo Abor & Tynna mit ihrem selbst geschriebenen Lied „Baller“.
Überraschend war ihre Nominierung (ein gutes Drittel der Zuschauerstimmen entfiel auf sie) nicht. Das Geschwisterpaar aus Wien zählte nahezu vom ersten Auftritt an zum Favoritenkreis, auch für mindestens zwei der vier Juroren im Finale waren sie die erste Wahl: die Österreicherin Conchita Wurst und den deutschen Sänger Nico Santos.
Abor & Tynna, die eigentlich Tünde und Attila Bornemisza heißen, stammen aus einer musikalischen Familie mit Wurzeln in Ungarn und Rumänien. Ihr Vater ist Cellist bei den Wiener Philharmonikern. Dass seine Tochter am Ende ihres Auftritts ein Cello zertrümmerte, dürfte nicht nur ihn verstört haben. Es schien auch einfach unnötig.
In „Baller“ wird das Ende einer Beziehung verarbeitet. Tynna, 24 Jahre alt, „ballert“ beim Singen all ihre Gefühle heraus und löst sich so von ihrem ehemaligen Partner. Es gibt für sie kein Zurück, auch wenn es immer noch wehtut. Der „Baller“-Refrain wird bei der Elektropop-Nummer immer wieder wiederholt, was eingängig ist und überaus modern wirkt. Das Lied arrangiert am heimischen Pult hat ihr zwei Jahre älterer Bruder Abor. Ihren Sound beschreiben die beiden „zwischen New Wave Rap, Pop und elektronischer Musik mit Texten, aus denen Spaß und Tränen blitzen, Empowerment und Verletzlichkeit, Wiener Schmäh mit Gen-Z-Attitüde“.
Für den diesjährigen Vorentscheid hatten sich 3281 Künstlerinnen und Künstler und Gruppen beworben. Je zwölf wurden zu den beiden ersten Sendungen eingeladen, 14 von ihnen zogen in die dritte Sendung, das Halbfinale, ein, neun schafften es ins Finale. Dort gab es kurzfristig noch eine Regeländerung, die für Irritationen sorgte. Statt wie zuvor Juroren sollte im Finale nur das Publikum über den eigentlichen ESC-Teilnehmer Deutschlands entscheiden, doch dann hieß es plötzlich vonseiten des NDR, dass zunächst auch die Jury noch einmal vier Kandidaten aussortiert. Erst dann sollte per Televoting über die verbliebenen fünf entschieden werden. Denn, so teilte der NDR mit, „für Stefan Raab ist der ESC auch im Finale der letzten neun ‚Chefsache‘“.
Womöglich befürchtete Raab, dass sich am Ende die Mittelalter-Metal-Rockband Feuerschwanz mit ihrem Lied „Knightclub“ bei den Zuschauern durchsetzen könnte. In einschlägigen Foren wurde die Gruppe als Geheimfavorit gehandelt. Die Juroren aber entschieden gegen sie. Weiter hingegen kamen der beste Sänger des Abends, der an Harry Styles erinnernde Moss Kena mit seinem Lied „Nothing Can Stop Love“, und die beste Sängerin, Lyza mit „Lovers On Mars“. Die Zweiundzwanzigjährige war zuvor erst dreimal in ihrem Leben aufgetreten, bei den Vorrunden des ESC-Vorentscheids.
Von beiden dürfte man schon bald wieder hören, sie werden ihren Weg auch dank Stefan Raab gehen. Der zeigte sich von seiner angenehmen Seite, dankte und lobte überschwänglich, bevor er zum Schluss sein neuestes Werk aufführte, eine auf Friedrich Merz gemünzte Spaßnummer mit dem Titel „Stefan Raab feat. Fritze Merz Rambo Zambo (Was is Bubatz?)“. Sie lief beim ESC-Vorentscheid außer Konkurrenz, was in den sozialen Medien sogleich bedauert wurde. Raab mag im nächsten Jahr keine Rolle beim vom SWR verantworteten ESC spielen, unzweifelhaft wird er aber für ihn persönlich „Chefsache“ bleiben.