Die kürzlich verstorbene Schauspielerin Hannelore Hoger hat unter anderem mit dem Hamburger Theaterregisseur Ulrich Waller zusammengearbeitet.
Im Interview erinnert er sich an eine “große Charakterdarstellerin” mit “untrüglichem Gerechtigkeitssinn”.
Herr Waller, wie haben Sie Hannelore Hoger kennengelernt?
Ulrich Waller: Ich habe sie das erste Mal 1977 auf der Bühne gesehen, beim Theatertreffen in Berlin. Da war sie mit ihrem Lieblingsregisseur Augusto Fernandes und einer Produktion aus dem Schauspielhaus Bochum, der Gruppenarbeit “Atlantis” – ein unglaublich aufregender Abend über Träume und Erinnern. Da habe ich sie zum ersten Mal auf der Bühne bewusst wahrgenommen und war hin und weg. Sie war die Protagonistin eines Ensembles, hat sich aber gar nicht in den Vordergrund gespielt, sondern war Teil einer Gruppe, die einfach begeisternd und toll war.
Umso wunderbarer fand ich es dann, als ich 1980 ans Schauspielhaus gegangen bin, dass ich sie dort wiedergetroffen habe. Sie war immer eine sehr meinungsstarke Person, und am Ende von der ersten Spielzeit hat es sich dann ergeben, dass wir das erste Mal zusammengearbeitet haben, in “Susn” von Herbert Achternbusch, einem Autor, den man heute fast gar nicht mehr kennt. Das war ein Stück über eine Frau in fünf Lebensaltern, die eigentlich von fünf verschiedenen Schauspielerinnen hätte gespielt werden sollen. Aber Hannelore hat gesagt: Entweder mache ich die alle oder keine.
Es gab auch eine große Unkerei im Haus: Die erfahrene Schauspielerin und der Berufsanfänger – wartet mal die erste Probe ab, dann hat sie ihn gefressen! Aber es war überhaupt nicht so. Das Tolle und Überraschende war, dass sie immer absolut auf Augenhöhe mit mir gearbeitet hat, dass sie mir ihre Kunst geschenkt hat, aber mir nie gezeigt hat, wer die größere Berufserfahrung hat. Es war eine richtig tolle Erfahrungen mit ihr.
Sie selbst hat sich in Interviews mit den Worten beschrieben: keine Diva-Allüren, kein Primadonnen-Gehabe, nicht eitel und eigentlich ziemlich faul. Hatte sie Recht?
Waller: Gegen Ende ihrer Karriere hatte sie einfach keine Lust mehr, Text zu lernen. Das war aber das einzige Mal, wo ich das Gefühl Faulheit mit ihr in Verbindung gebracht habe. Ich fand sie eigentlich eine unglaublich präzise, genaue Arbeiterin und eine unglaublich gute Handwerkerin. Sie hat immer ganz klar gesagt, was sie wollte. Sie hatte einen untrüglichen Instinkt für Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit: Wenn sie das Gefühl hatte, dass jemand ungerecht behandelt wurde, war sie sofort an dessen Seite. Ich habe das einmal erleben dürfen, am Ende von meiner Schauspielhaus-Zeit: Auf einer Versammlung hat der damalige Intendant öffentlich gesagt, es gäbe kaum noch Schauspieler, die mit mir arbeiten wollten. Hannelore stand als erste auf und sagte: “Das stimmt doch überhaupt nicht, das ist totaler Quatsch. Ich habe unheimlich gern mit Uli gearbeitet, und ich würde sofort wieder mit ihm arbeiten. Damit brach diese ganze Strategie der Nichtverlängerung des Vertrags irgendwie zusammen. Das werde ich ihr mein Leben lang nicht vergessen.
Sie haben viel mit ihr gemeinsam gemacht. Können Sie eine Szene oder eine Rolle nennen, die aus Ihrer Sicht besonders eindrucksvoll war?
Waller: Ihre Version des Spiels von Yasmina Reza, das war 2016. Dieses Stück beschreibt die Geschichte einer Schriftstellerin, die in die Provinz fährt und dort eine Lesung abhalten muss. Am Schluss lernt sie den Bürgermeister kennen, der schon ziemlich betrunken ist, gespielt von Volker Lechtenbrink, den sie reanimiert hatte. Wie die beiden dann am Schluss ein Lied von Gilbert Bécaud gesungen haben – das werde ich nicht vergessen. Sie hatte einen unglaublichen Instinkt. Wenn eine Situation nicht stimmte, war sie die erste, die darauf hingewiesen hat.
Viele kennen sie natürlich auch aus der Fernseh-Reihe “Bella Block”. Wie viel Hannelore Hoger steckte in dieser Rolle und wie viel auch nicht?
Waller: Sie hat diese Figur zusammen mit dem Regisseur Max Färberböck auf der Basis von dem Buch von Doris Gercke entwickelt. Insofern würde ich sagen, steckte da ganz viel von Hannelore drin: zum Beispiel der Humor und auch die Kratzbürstigkeit, den die Figur hatte.
Welche Bedeutung hatte Hannelore Hoger für das deutsche Theater und den deutschen Film?
Waller: Sie hat beides zusammengebracht. Sie hat eine Verbindung zwischen Theater und Film geschaffen, die ziemlich einmalig ist. Sie war eine große Charakterschauspielerin. Sie hat ihren Figuren eine unglaubliche Wärme und Kraft mitgegeben. Sie hat einen auf der Bühne emotional unglaublich stark berührt mit ihren Figuren, weil sie die immer verteidigt hat, ohne dass die Figuren deshalb nett geworden wären.
Was sind Ihre letzten persönlichen Erinnerungen an sie?
Waller: Sie war noch einmal bei uns, mit einer Lesung von Sibylle Bergs “Abschiedsbriefe von Frauen”. Da war sie zeitweilig schon irgendwie auf dem Weg woanders hin. Sie ist, glaube ich, fünf Mal gekommen, weil sie dachte, sie hätte Vorstellung – aber die war noch gar nicht. Sie hatte immer Angst, dass irgendwann keiner mehr kommt. Sie hat mich zehn mal gefragt, wie gut es verkauft ist. Ich habe es ihr erklärt, aber sie hat es irgendwie vergessen. Das war nicht als Bote einer Krankheit, die dann kommt, sondern weil das wirklich ihre größte Angst war, dass keiner mehr kommt, um zu gucken, was sie macht.